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Das steckt hinter Marsaleks Brief-Strategie

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Wirecard-Experte analysiert
Das steckt hinter Marsaleks Brief-Strategie


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Im Wirecard-Prozess um den größten Wirtschafts-Krimi der Nachkriegszeit meldet sich plötzlich der gesuchte Jan Marsalek. Seit drei Jahren versteckt er sich bei Putin.

Nachdem die Wirecard AG im Sommer 2020 Insolvenz anmeldet, schreibt Jan Marsalek einem Kumpel einen Tag später eine Nachricht. Er habe „mehrere Pässe“ – „wie jeder gute Geheimagent“, simst er. Als sein Freund später fragt: „Bist du abgetaucht?“, antwortet Marsalek: „Sort of“.

Seitdem ist er weg. Fotos des ehemaligen Wirecard-Vorstands sind auf Bahnhöfen und Flughäfen zu sehen, Interpol hat ihn weltweit zur Fahndung ausgeschrieben. Jan Marsalek, geboren am 15. März 1980 in Wien, 1,80 Meter groß. Mutmaßlicher Haupttäter im wohl größten Skandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Er soll sich über Belarus nach Moskau abgesetzt haben, in die Obhut des russischen Geheimdienstes. Zwischenzeitlich wurde sogar spekuliert, ob Marsalek überhaupt noch lebt.

Jetzt gibt es ein Lebenszeichen. Sein Anwalt hat in Marsaleks Auftrag eine Botschaft ans Landgericht München I geschickt.

► Dort müssen sich seit dem vergangenen Dezember drei seiner ehemaligen Kollegen verantworten: Ex-Konzernchef Markus Braun, der langjährige Chefbuchhalter Stephan von Erffa und der ehemalige Dubai-Statthalter Oliver Bellenhaus. Sie sind angeklagt wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetruges, Untreue, Marktmanipulation und unrichtiger Darstellung.

Das Marsalek-Schreiben ist acht Seiten lang – und ziemlich wirr. Der flüchtige Manager kommentiert den bisherigen Verlauf des Prozesses, streut Gerüchte, entlastet Braun, belastet Bellenhaus – und belastet sich selbst.
Worum geht es?

Wirecards Aufstieg begann in den Nullerjahren, als das Start-up vor allem die Zahlungen für die Porno- und Glücksspielbranche abwickelte.

Wirecard sorgte dafür, dass das Geld vom Konto des Nutzers beim Anbieter ankam – gegen eine Gebühr. Doch immer mehr Sexfilmchen landeten gratis im Netz, manche Länder untersagten das Online-Pokern.

Wirecard fand ein neues Geschäftsfeld: die Vermittlung von Kunden an Partner im Asien. Der deutsche Konzern wickelte die Zahlungen nicht selbst ab, kassierte aber für die Vermittlung eine hohe Gebühr. Dieses Geschäft soll zuletzt 50 Prozent des Umsatzes und 100 Prozent des Gewinns von Wirecard ausgemacht haben. Dank der steilen Wachstumszahlen aus diesem Geschäft stieg Wirecard 2018 in den Dax auf.

Doch im Sommer 2020 kam heraus: Die Treuhandkonten, auf denen zwei Milliarden Euro aus dem Drittpartnergeschäft liegen sollen, waren leer. Kurz darauf war Wirecard pleite – und Marsalek weg.

Im Wirecard-Prozess hat Wirecards ehemaliger Dubai-Statthalter Bellenhaus Ex-Konzernchef Braun schwer belastet. Auf seinen Angaben beruhen weite Teile der Anklage. Laut Bellenhaus war das Drittpartnergeschäft frei erfunden, um Geld bei Investoren und Anlegern einzusammeln. Zur Wirecard-Bande zählte Bellenhaus neben sich selbst auch Marsalek, von Erffa und Braun. Letzteren beschrieb er als Chef der Bande, der die Vorgaben für illusorische Wachstumszahlen und Manipulationen in Auftrag gab.

Braun weist alle Vorwürfe zurück. Vor Kurzem haben seine Verteidiger eine Offensive gestartet: Sie argumentieren, dass es das Drittpartnergeschäft sehr wohl gegeben habe – die Erträge seien hinter Brauns Rücken aus der Firma geschleust worden, von einer Bande um Marsalek und Bellenhaus. Letzterer sei ein notorischer Lügner.

Dass Marsalek sich im jetzt flankierend zur Braun-Offensive meldet, ist bemerkenswert. Zum einen, weil Braun ihn vorher belastet hat. Vor allem aber, weil er sich Brauns Argumentation in einem wichtigen Punkt anschließt: Die Grundthese der Staatsanwaltschaft, dass es sich beim Drittpartnergeschäft um „eine reine Fiktion gehandelt hat, ist falsch“, schreibt sein Anwalt.

Bellenhaus habe sich „als anpassungsfähiger Zeuge der Staatsanwaltschaft angedient“. Er habe Firmen- und Kundengelder abgezweigt und wolle sich durch den Kronzeugenstatus Vorteile verschaffen, „um sich dann in Freiheit mit von ihm veruntreuten Firmengeldern in Millionenhöhe“ zurückziehen zu können.

Was soll das Ganze?

Marsalek will mit seiner Botschaft den Kronzeugen Bellenhaus beschädigen. Und damit die gesamte Anklage. Das Drittpartnergeschäft ist Kern des Wirecard-Prozesses. Kein Wunder, dass Brauns Anwälte die Botschaft Marsaleks als Beleg für Brauns Unschuld sehen.

Kann diese Strategie aufgehen? Um die Existenz des Drittpartnergeschäfts zu belegen, muss klar nachgewiesen werden, dass Wirecard Milliarden gestohlen wurden, die mit der tatsächlichen Vermittlung von Händlern an Drittpartner verdient wurden. Bislang haben weder die Staatsanwälte noch der Insolvenzverwalter von Wirecard dazu Verträge und Geldflüsse gefunden.

Belege liefert auch Marsalek nicht. Bei seinen Tiraden gegen Bellenhaus beruft er sich auf Gerüchte. Das Drittpartnergeschäft beschreibt er als vom Wirecard-Konzern autarkes Business, das auch nach der Pleite weiterlief. Weil er sich als Mastermind dieses Geschäftsfeldes outet, belastet er sich selbst.
Warum macht er das?

Marsaleks Brief wirkt wie das Theater-Solo eines enttäuschten Schauspielers, der um seine Hauptrolle bangt. Es ist unklar, wie das Gericht mit dem Schriftsatz umgeht – es stammt ja nicht einmal von Marsalek selbst, sondern von seinem Anwalt.

Wichtige Fragen lässt Marsalek offen: Wo sind die angeblichen Milliardengewinne denn abgeblieben? Was wusste Braun von diesem Geschäft? Hat Marsalek selbst Millionen abgezweigt? Warum ist er abgetaucht? Wo steckt er? Und, wenn er denn unschuldig ist: Warum kommt er nicht nach München und erzählt seine Wirecard-Story?

Vielleicht liefert Marsalek ja noch Antworten. Sein Mandant werde den weiteren Prozessverlauf verfolgen, erklärte sein Anwalt. Und gegebenenfalls „eine ergänzende Stellungnahme zu einem späteren Zeitpunkt zu verschiedenen Themenkomplexen“ abgeben.

Volker ter Haseborg ist Chefreporter der „WirtschaftsWoche“ und Autor des Wirtschaftsbuch-Bestsellers „Die Wirecard-Story“.

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